Arbeiten in Deutschland im Jahre 2020 – eine Vision

Arbeiten in Deutschland im Jahre 2020 – eine Vision

Wie werden sich die Arbeitsbedingungen in Deutschland in den nächsten 10 Jahren fortentwickeln?

Von RA Hans-Harald Sowka

11-12Sowka Foto EingangArbeiten2020Unterstellt man, dass wir keine tiefgreifenden wirtschaftlichen Krisen erleben, ist folgende Entwicklung denkbar, die vor allem Demografie getrieben wäre:

(1) Der Gesetzgeber wird den generellen Rechtsanspruch auf Teilzeit fortentwickeln. Bisher ist im Teilzeit- und Befristungsgesetz vorgesehen, dass jeder Mitarbeiter von Vollzeit auf Teilzeit wechseln kann, allerdings ohne den Teilzeitanspruch befristen zu können. Das heißt, einen Rechtsanspruch auf Rückkehr auf einen Vollzeitarbeitsplatz gewährt das Gesetz bisher grundsätzlich nicht (Ausnahme: Elternzeit).

Führt der Gesetzgeber einen derartigen Rückkehranspruch ein, so wäre dies aus Arbeitgebersicht ein gravierender Eingriff in die Vertragsfreiheit bzw. eine Schneise für die „Arbeitszeitsouveränität“ aus Sicht der Mitarbeiter.
Eine solche Rechtsentwicklung würde die Unternehmen vor enorme organisatorische Herausforderungen stellen. Aus Sicht der Mitarbeiter hingegen würden sich so Phasen der Familienförderung, der Betreuung von Angehörigen, ebenso besser bewältigen lassen wie etwa einfach der Wunsch nach einer „längeren Auszeit“ („ich will die Welt umsegeln“).

(2) Ferner wird der Gesetzgeber die Möglichkeit von erleichterter Altersbefristung beseitigen und Kettenbefristungsmöglichkeiten einschränken (z. B. „nicht länger als insgesamt vier Jahre Befristung mit demselben Arbeitnehmer“).

(3) Die Zeiten zurückhaltender Lohnpolitik der Tarifvertragsparteien sind vorbei. Die Tarifentgelte werden signifikant stärker steigen als in den vergangenen zehn Jahren. Die Arbeitnehmer werden so netto deutlich mehr Geld in der Tasche haben.

Die Tarifparteien werden die Entgeltsteigerungen nicht nur als lineare Steigerung des monatlichen Entgelts vereinbaren. Vielmehr wird auch in Altersvorsorge, Weiterbildung, Familienförderung und Gesundheitsschutz investiert; insoweit wird die Verwendung tariflicher Steigerungen zunehmend den Betriebsparteien überlassen. So könnte im Tarifvertrag etwa geregelt werden: Zwei Prozentpunkte der vereinbarten insgesamt fünfprozentigen Entgelterhöhung fließen in einen betrieblichen Topf, über dessen Verwendung autonom die Betriebsparteien entscheiden.
Insgesamt wird die Tarifpolitik auf ein „Modell der Optionalität“ setzen: Die Unternehmen haben die Wahl, am alten Tarifmodell festzuhalten oder aber freiwillig das neue Tarifmodell zu wählen.

Beispiel: Der neue Tarifvertrag sieht vor, dass Leiharbeiter nicht mehr als 5 Prozent der Belegschaft ausmachen dürfen. Im Gegenzug verringern sich die Überstundenzuschläge. Den Unternehmen bleibt überlassen, in dieses Modell einzusteigen oder nach altem Tarifvertrag (keine Begrenzung der Leiharbeit, volle Überstundenzuschläge) festzuhalten.

Beispiel: Der neue Tarifvertrag sieht vor, dass befristete Arbeitsverträge nur für maximal 12 Monate abgeschlossen werden dürfen; im Gegenzug kann der Arbeitgeber ohne Zustimmung des Betriebsrates bis zu X Überstunden anordnen. Der Arbeitgeber erhält das Wahlrecht: altes oder neues Tarifmodell.

(4) Anders als in den letzten Jahren werden übertarifliche Leistungen nicht abgebaut, sondern stärker ausgebaut werden. Die Unternehmen werden viel Phantasie entwickeln, um neue Mitarbeiter zu gewinnen bzw. die alten zu halten.

• Erhöhungen des monatlichen Entgelts oder von Einmalzahlungen (Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld) werden ebenso zum Repertoire gehören wie andere Entgeltwerte Leistungen: Altersvorsorge, Dienstwagen, PC, Handy.

• Auch werden die Unternehmen in Ausbildung, Weiterbildung, Familienförderung, Gesundheit investieren.
Die Unternehmen werden ihren Mitarbeitern in schwierigen Lebenslagen Hilfe anbieten. Sie werden z. B. Schuldnerberatung organisieren und finanzieren, etwa indem sie gemeinsam mit anderen Unternehmen einen Beratungsvertrag mit einem Schuldnerberater schließen, den der Arbeitnehmer kontaktieren kann.
Auch werden die Unternehmen bei psychischen Erkrankungen alleine oder im Verbund psychologische Betreuung über Dritte organisieren und finanzieren.
Der Gesundheitsschutz wird einen größeren Stellenwert bekommen. Anleitung zu Körperübungen während der Arbeitszeit wird unternehmensseitig finanziert werden, ebenso Massagen oder Rückenkurse.

• Die Betreuung von Auszubildenden wird weiterentwickelt: Neben den ohnehin schon üblichen Nachhilfestunden wird es eine enge sozialpädagogische Begleitung geben.

• Die Unternehmen werden von ihren Vorbehalten gegenüber Teilzeitwünschen insbesondere ihrer weiblichen Mitarbeiter Abschied nehmen. Sie werden Kinderbetreuung organisieren und finanzieren – meist im Verbund mit anderen Unternehmen und ohne die Verantwortung für das betreuende Personal zu übernehmen. Die Betreuung wird auch in den Schulferien erfolgen.

Nur „Schlaraffia“ für die Mitarbeiter?

Auch die Mitarbeiter werden sich umstellen müssen:

• Die Gewerkschaften werden ihre Widerstände gegen notwendige verlängerte Arbeitszeiten Zug um Zug aufgeben. Fachkräftemangel bei gleichzeitigem Zurückdrängen von Leiharbeit und Befristung führt massiv zu Überstunden und damit zwangsläufig offen oder verdeckt zu verlängerten Arbeitszeiten.

• Die Unternehmen werden erhebliche Produktivitätsfortschritte generieren, getrieben von der „Demografischen Peitsche“ und einer dynamischen Lohnentwicklung.

• Einfach oder gar nicht qualifizierte Mitarbeiter werden es nach wie vor schwer haben. Flächendeckende Mindestlöhne werden vielfach nur dann keine Arbeitslosigkeit bei den einfachen Tätigkeiten hervorrufen, wenn durch staatliche Lohnkostenzuschüsse an Unternehmen massiv gegengesteuert wird.

• Leiharbeit und befristete Beschäftigung werden zurückgehen – demografiebedingt und weil der Gesetzgeber regulatorisch eingreifen wird.

Ansprechpartner: Hans-Harald Sowka
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