VIV-Interview mit Oliver Burkhard – Bezirksleiter der IG Metall Nordrhein-Westfalen
Thema: Zukunft der Arbeit
VIV: Herr Burkhard, wie ist Ihr bisheriger Werdegang?
Oliver Burkhard: Bevor ich 2007 als Bezirksleiter in NRW nach Düsseldorf gekommen bin, war ich beim IG Metall Vorstand für Tarifpolitik verantwortlich. Von 2002 bis 2004 habe ich bereits als Tarifsekretär in Nordrhein-Westfalen gearbeitet. So sehe ich mich vielen Menschen wie auch Betrieben bereits über einen recht langen Zeitraum verbunden.
Angefangen habe ich in der Wirtschaftsabteilung der IG Metall, davor habe ich eine Ausbildung beim Statistischen Bundesamt absolviert und Betriebswirtschaft studiert. Kein ganz klassischer Werdegang, wie man sieht.
VIV: Wie sieht aus Ihrer Sicht die Arbeitswelt in den nächsten 10 Jahren in Deutschland aus? Und welche Rolle spielt insoweit der Flächentarifvertrag?
Oliver Burkhard: Zwei Dinge sind entscheidend: Dass wir die Industrie und damit gute industrielle Arbeit entwickeln und dass wir unser Tarifsystem stärken. Ich will, dass wir auch in 10 Jahren ein starkes, modernes Industrieland sind, mit Schlüsselbranchen die in der Welt mithalten. Alle Länder, die ihre Industrie bereits abgeschrieben hatten, erleben heute ein Desaster. Bei anderen Themen werden wir uns streiten müssen: Zum Beispiel bei der Leiharbeit, bei industriellen Dienstleistungen. Die Frage um Arbeit – sicher und fair wird der Kernkonflikt der nächsten 10 Jahre. Wir sind überzeugt: Unbefristete Beschäftigung, mit Perspektive und tarifgebunden – das ist und bleibt das Zukunftsmodell. Der Flächentarif hat seine Stärke schon oft genug bewiesen – und wir haben längst viel Flexibilität in unseren Tarifverträgen. Wenn die Unternehmen noch flexibler sein wollen und müssen, erwarte ich, dass wir uns gemeinsam um mehr interne Flexibilität bemühen, anstatt dass auf billige Leiharbeit ausgewichen wird. Das deutsche Produktionsmodell hat in der Welt die besten Chancen, wenn wir Arbeit mit Sicherheit und Perspektive gestalten.
VIV: Die Gewerkschaften, insbesondere aber auch die IG Metall haben in den letzten Jahren sehr den Fokus auf sogenannte prekäre Beschäftigungsverhältnisse gelegt. Zeichnet das nicht ein etwas schiefes Bild von der Gesamtlage in Deutschland?
Oliver Burkhard: Im Gegenteil. Nicht das Bild, sondern die Gesamtlage ist schief: 7 Millionen Menschen arbeiten mittlerweile im Niedriglohnbereich. Tendenz steigend. Leiharbeit und unsichere Beschäftigung sind weiter auf dem Vormarsch. Jeder Dritte unter 35 war überhaupt noch nie fest beschäftigt. Hier geht es doch um die Zukunft der jungen Generation, um eine gerechte Arbeitsgesellschaft. Und darum, ob wir die Stärke unseres Produktionsmodells erhalten. Top Qualitätsführer mit billiger Leiharbeit – das kann auf Dauer nicht gutgehen. Und dass Menschen für die gleiche Arbeit völlig unterschiedlich bezahlt und behandelt werden, widerspricht einem elementaren Gerechtigkeitsempfinden. Auch deshalb können wir gar nicht anders, als das jeden Tag in den Betrieben und öffentlich zu thematisieren: Gleiche Arbeit, gleiches Geld. Dafür werden wir uns auch weiter einsetzen.
VIV: Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung wird die Lage für Schulabgänger auf dem Ausbildungsmarkt und für Auszubildende immer besser. Warum macht Ihre Forderung nach unbefristeter Übernahme von Ausgebildeten dennoch Sinn?
Oliver Burkhard: Ich freue mich ja, wenn sich die Lage für viele Schulabgänger verbessert. Aber wir nehmen längst noch nicht jeden mit. Hunderttausende drehen bundesweit immer noch Warteschleifen, hangeln sich von Kurs zu Kurs. Andere kommen auch deshalb nicht rein in den Betrieb, weil sie zum Start noch nicht alles mitbringen. Dafür haben wir zum Beispiel mit dem Tarifvertrag „Förderung der Ausbildungsfähigkeit“ eine einjährige Brücke vorgeschaltet. Und zum Thema unbefristete Übernahme sagen wir: Ja, die brauchen wir. Denn das macht die Metallberufe attraktiver. In Zeiten des Fachkräftemangels können Unternehmen so gut ausgebildete junge Leute gewinnen und halten. Und die jungen Menschen bekommen eine echte Perspektive. Da gewinnen alle, und für über Bedarf Ausgebildete gibt es ja auch jetzt schon Ausnahmeregeln.
VIV: Große Unternehmen der Metallindustrie haben mit der IG Metall bzw. ihren Betriebsräten Regelungen zur Leiharbeit getroffen. Diese Regelungen sind aber weit entfernt von dem, was die IG Metall vom Gesetzgeber oder Tarifpartner einfordert. Entsteht da nicht eine Glaubwürdigkeitslücke (bei den Großen ist man großzügig, in der Fläche will man das enge Korsett)?
Oliver Burkhard: Das Glaubwürdigkeitsproblem hat eher die Politik. Weil sie seit Jahren nichts gegen den Missbrauch der Leiharbeit unternimmt. Gleiche Arbeit – gleiches Geld, das ist in vielen Ländern Europas eine Selbstverständlichkeit. Und es ist ein Gebot der europäischen Rechtsprechung. Wenn dieser Grundsatz in Deutschland permanent unterlaufen wird, dann muss man als Gewerkschaft doch was unternehmen. Solange sich die Regierung drückt, treffen wir Vereinbarungen, um konkrete Verbesserungen zu erreichen. Das ist mühsam, aber wir kriegen das in einer wachsenden Zahl von Betrieben hin, in großen und kleinen übrigens. Und bei Stahl haben wir das Thema ein für allemal sauber geklärt. Kein Korsett, sondern faire, klare, einfache Regelung. Das zeigt ja, dass es geht.
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