VIV-Interview mit Herrn Dr. Ralph Henger, Senior Economist Wohnungspolitik und Immobilienökonomik, Institut der deutschen Wirtschaft Köln

Wie groß ist eigentlich die „Baulücke“ in Deutschland?
Nach unserem IW-Wohnungsbedarfsmodell benötigen wir bis zum Jahr 2020 jedes Jahr 385.000 Wohneinheiten. Hiervon fallen 132.000 Wohnungen per anno auf die erhöhte Zuwanderung seit 2015. Zwar zieht die Bautätigkeit seit Jahren stetig an, reicht aber bei weitem nicht aus um diese hohen Bedarfe zu decken. So liegt die Bautätigkeit nach den aktuellsten Zahlen für das Jahr 2016 bei 278.000 (Baufertigstellungen) bzw. 375.000 (Genehmigungen) Wohnungen.

Die Baulücke beläuft sich also immer noch auf rund 100.000 Wohnungen pro Jahr. Die wahre Lücke ist sogar noch größer, da die Bautätigkeit und der Baubedarf räumlich sehr stark auseinander fallen.
Während es in nahezu allen Großstädten an Geschosswohnungen mangelt, werden in vielen ländlichen Regionen deutlich zu viele Einfamilienhäuser gebaut. Entsprechend steigen in den Ballungszentren die Preise und Mieten. Gleichzeitig wird auf dem Land der Leerstand von morgen gebaut, da die Bevölkerung im ländlichen Raum insgesamt schrumpft. Die Dorfzentren und die Zersiedlung mit neuen Baugebieten nehmen wieder zu, was die Kosten der Kommunen und der Bevölkerung für die Infrastruktur weiter treiben wird. 

Vom Land in die Stadt oder wieder zurück. Wie ist der aktuelle Trend?
Zunächst einmal muss man sich klar machen, dass die Außenwanderung die Binnenwanderung aktuell sehr deutlich überlagert. Hier hat sich die Lage in den letzten Jahren dramatisch verändert. Noch vor wenigen Jahren war alles geprägt von der Diskussion über den demografischen Wandel und den Rückgang bzw. die Alterung der Bevölkerung. Deutschland hat 2009 und 2010 im Saldo Bevölkerung verloren. Jetzt erzielt Deutschland seit Jahren historisch hohe Wanderungsüberschüsse. Schrumpfung ist für viele Städte und Gemeinden daher kein Thema mehr.
Aber auch die Binnenwanderung hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Wanderung ist heute viel stärker überregional geprägt. Insbesondere die Metropolregionen wirken auf junge Bevölkerungsschichten wie ein Magnet. Haupttreiber sind der starke Beschäftigungsaufbau und die steigenden Studentenzahlen. Darüber hinaus hat sich die infrastrukturelle Versorgung vieler ländlicher Räume in den letzten Jahren relativ zu den Großstädten verschlechtert (Stichwort Breitband- oder Ärzteversorgung).
In der Summe hat dies dazu geführt, dass die kreisfreien Großstädte in Deutschland deutlich an Bevölkerung gewonnen haben. Interessant ist, dass dieser Trend nun beginnt, sich wieder umzukehren. In den Jahren 2006 bis 2013 haben die Großstädte durch Binnenwanderung an Bevölkerung gewonnen; seit 2014 legen aber die sonstigen Kreise wieder zu. Die Erklärung ist simpel: In den Ballungszentren fehlt es an Wohnungen. Zudem sind die Preise und Mieten vielerorts so hoch, dass sich viele wieder auf günstigere Alternativen in den Vororten und auf dem Land umschauen.

Preiswerter Wohnraum in den Großstädten ist knapp. Der Ruf nach mehr Sozialwohnungen ist da berechtigt oder eine Sackgasse?
Es ist in jedem Fall falsch, den Neubau von Sozialwohnungen zu stark zu forcieren. Dafür ist er schlicht zu teuer, da viele Haushalte auch dann noch von der Förderung profitieren wenn sie nicht mehr bedürftig sind. Die Fehlbelegungsquoten sind hoch und lassen sich durch Fehlbelegungsabgaben kaum verringern. Der geförderte Wohnungsbau sollte daher nur „wohl dosiert“ zum Einsatz kommen, um das Zugangsproblem für bestimmte Haushalte zu adressieren. Besser sind direkte Transfers an einkommensschwache Haushalte.

Wie können Städte für eine ausgeglichene Sozialstruktur Sorge tragen?
Es kommt auf die Mischung mehrerer Instrumente an. Hierbei muss man sich zunächst klar machen, dass in Deutschland ein relativ starkes Netz an verschiedenen gut funktionierenden sozial- und wohnungspolitischen Instrumenten besteht. Im Rahmen von Hartz-IV werden Wohnungen vollständig über die Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) finanziert. Haushalte mit geringen Einkommen erhalten für einen Teil der Miete einen Zuschuss, das sogenannte Wohngeld. Zudem haben die Städte eigene Wohnungsunternehmen und Möglichkeiten zur sozialen Wohnraumförderung. Wie gesagt, ist dies sehr teuer. Die Kommunen sollten daher verstärkt Belegungsrechte für den Wohnungsbestand erwerben. Sie erhalten hierdurch für die Zahlung einer Prämie an die Vermieter das Recht, Mieter auszuwählen. Dies hilft Haushalten, die Probleme haben einen Mietvertrag abzuschließen, den Zugang zum Wohnungsmarkt zu ermöglichen. Es ist ein Fehler, wenn die Kommunen Belegungsrechte nur durch den Bau von neuen Sozialwohnungen schaffen. Hierdurch bleiben günstige und treffsichere Maßnahmen ungenutzt.

Wer bekommt eigentlich Wohngeld und in welcher Höhe?
Das Wohngeld richtet sich an Haushalte mit niedrigen Einkommen und hoher Mietbelastung. Hartz-IV-Empfänger sind ausgeschlossen, da sie ihre Wohnung ja bereits über die Grundsicherung voll finanziert bekommen. Gegenüber der Grundsicherung hat das Wohngeld deutliche Effizienzvorteile, da die Haushalte immer mit einem Teil an der Bestreitung der Wohnkosten beteiligt sind und dementsprechend Anreize haben, möglichst günstig zu wohnen. Wer genau bis zu welchem Einkommen Wohngeld bekommt, ist nicht allgemein zu beantworten, da das Wohngeld neben dem Einkommen auch von der Miete und der Haushaltsgröße abhängt. Das Wohngeld ist sehr gut ausgestaltet und so konzipiert, dass ein Haushalt keine zu hohe Wohnkostenbelastung erfährt. Es steigt mit zunehmender Miete an, solange bis der jeweilige Höchstbetrag erreicht ist, die in sechs Mietenstufen regional gestaffelt sind. Köln liegt zum Beispiel in der Mietenstufe VI und damit in der höchsten Mietenstufe. Übersteigt die tatsächliche Miete den Höchstbetrag, dann wird nur der Höchstbetrag zur Berechnung des Wohngelds herangezogen. Damit wird verhindert, dass die Haushalte ihren Wohnkonsum aufgrund des Wohngelds zu stark ausweiten. Ein Einpersonenhaushalt mit einer Miete in Höhe von monatlich 522 Euro und 1.000 Euro Bruttoeinkommen, erhält zum Beispiel Wohngeld in Höhe von 200 Euro. Ab einem Einkommen von 1.540 Euro bekommt er kein Wohngeld mehr.   

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