Tarifverhandlungen mit „viel gegenseitigem Verständnis“

Tarifverhandlungen mit „viel gegenseitigem Verständnis“

Wie erleben Sie die Tarifverhandlungen in diesem Jahr?
Dr. Stephan Kufferath:
Ich habe an den ersten beiden Verhandlungen nicht teilgenommen, werde aber am dritten Verhandlungstag am Freitag in Neuss dabei sein. Ich rechne nicht damit, dass es am Freitag einen Tarifabschluss geben wird, weil der Verhandlungsführer auf Seiten der Arbeitgeber, Metallpräsident Arndt G. Kirchhoff, aufgrund einer Auslandsreise nicht an den Verhandlungen teilnehmen kann. Ich glaube aber sehr wohl, dass die Verhandlungen am Freitag schon sehr viel konkreter werden, als sie es bisher waren. Es ist spannend, dass es viele Indizien dafür gibt, dass der Pilotabschluss für die Metall- und Elektroindustrie wohl wieder in Nordrhein-Westfalen sein wird.

Warum glauben Sie das?
Dr. Stephan Kufferath:
Na ja, man muss schon sagen, dass es grundsätzlich nicht so viele Tarifbezirke gibt, die Tarifverhandlungen stemmen und organisieren können beziehungsweise eine entsprechende Infrastruktur haben. Das ist sowieso nur in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen der Fall. Hinzu kommt, dass der Pilotabschluss eigentlich nicht dort getroffen wird, wo neue Gesichter am Verhandlungstisch sitzen. In NRW ist das nicht der Fall.  Aber vielleicht kristallisieren sich in den nächsten Wochen auch noch gute Gründe für einen Abschluss in Baden-Württemberg heraus.

Was ist anders bei den Tarifverhandlungen 2022, ist die Stimmung aufgrund der aktuellen Situation aggressiver?
Dr. Stephan Kufferath:
Nein, das erlebe ich nicht so. Ich würde sogar sagen, dass die Tarifrunde viel stiller ist, dass nicht so viel Krawall gemacht wird. Und ich erlebe ein hohes Maß an gegenseitigem Verständnis. Die Arbeitgeber haben Verständnis für die Lohnwünsche ihrer Belegschaft. Wir wissen, dass unsere Mitarbeiter enorm unter der hohen Inflation und den immensen Energiekosten leiden. Ich habe aber auch den Eindruck, dass die IG Metall weiß, dass die Betriebe Lohnforderungen von acht Prozent plus nicht verkraften können.

Das heißt, die Äußerung der Gewerkschaft aus der vergangenen Woche, dass ein Lohnplus von acht Prozent realistisch sei, weil die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie gut dastünden, bewerten Sie als normales Säbelrassen vor der nächsten Verhandlungsrunde?
Dr. Stephan Kufferath:
Genau. Ich bin wirklich davon überzeugt, dass wir sehr konstruktive Gespräche und Diskussionen darüber führen werden, was bei diesen Tarifverhandlungen möglich ist.

Wie bewerten Sie die Lage in der Metall- und Elektroindustrie?
Dr. Stephan Kufferath: Unsere Branche ist unglaublich heterogen. Das gilt sowohl mit Blick auf die unterschiedlichen Branchen als auch mit Blick auf die Firmengrößen. Man kann die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie nicht über einen Kamm scheren. Gleichwohl gibt es Faktoren, unter denen alle Unternehmen leiden: Da sind zum einen die explodierenden Kosten für Rohstoffe und Energie und auf der anderen Seite die Disruptionen in den Lieferketten. Den Unternehmen fehlt die Kalkulationsgrundlage. Die Preissteigerungen bei Metallen schießen durch die Decke, wir bekommen von unseren Lieferanten keine Festpreisgarantie mehr. Das Energiethema ist ebenfalls ungelöst. Und es gibt auch nicht so viele Krisengewinner, wie die Gewerkschaft uns das glauben machen will. Sicherlich gibt es Einzelfälle, die durchaus profitiert haben. Die können aber natürlich nicht die Basis für einen Flächentarifvertrag sein.

Welche Konsequenzen hat das?
Dr. Stephan Kufferath:
Bevor ich zu den Konsequenzen komme, möchte ich noch zwei Schwierigkeiten nennen: Die Regierung hat erneut Kurzarbeit möglich gemacht, ein attraktives Instrument für viele Unternehmen, sich von Kosten zu entlasten. Gleichzeitig entziehen sie sich aber damit ihrer Verantwortung für die Volkswirtschaft. Darüber hinaus haben viele Unternehmer die aus meiner Sicht nicht unberechtigte Sorge, dass Vertreter der Regierungsparteien die De-Industrialisierung Deutschlands vorantreibt oder zumindest billigend in Kauf nimmt. Außerdem leben wir in Zeiten der Transformation. Wir müssen unsere Geschäftsmodelle neu überdenken, die Digitalisierung vorantreiben und unseren CO2-Fußabbdruck verbessern. Das alles kostet viel Geld, Zeit und Managementinitiative. Jetzt aber zu Ihrer Frage: Im schlimmsten Fall führt das zu einem Zusammenbruch vieler Geschäftsmodelle und einem Unternehmenssterben.

Ganz ehrlich: Selbst, wenn die IG Metall jetzt einer Nullrunde zustimmen würde, würde das diese Probleme nicht lösen.
Dr. Stephan Kufferath:
Nein, natürlich nicht. Wir wollen auch keine Nullrunde, aber wir appellieren natürlich an die Vernunft unserer Verhandlungspartner.

In der Chemieindustrie hat es einen Tarifabschluss gegeben. Die Mitarbeiter bekommen zweimal eine Lohnsteuer- und Sozialabgabenfreie Einmalzahlung in Höhe von 1500 Euro und 6,5 Prozent mehr Lohn, ebenfalls verteilt auf zwei Jahre.
Dr. Stephan Kufferath:
Dieser Tarifvertrag ist nicht so billig, wie er auf den ersten Blick aussieht, die Kostenbelastungen für die Unternehmen sind hoch. Ob er am Ende für die Unternehmen verkraftbar ist, bleibt abzuwarten. Trotzdem kann dieser Abschluss durchaus ein Maßstab für unsere Verhandlungen sein. Die Einmalzahlungen müssen Teil des Gesamtpaketes und nicht on top sein. Außerdem haben wir ein großes Interesse an einem Tarifabschluss, der 24 Monate gültig ist, weil so ein „Langläufer“ mehr Planungssicherheit bedeutet, übrigens für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Wichtig ist zudem mit Blick auf die schon angesprochene, sehr heterogene Verbandsstruktur, dass es Differenzierungselemente für die Unternehmen gibt.

Was heißt das?
Dr. Stephan Kufferath:
Dass Unternehmen je nach wirtschaftlicher Lage und in Absprache mit Betriebsrat und IG Metall kurzzeitig vom Tarifvertrag abweichen können.

Glauben Sie, dass eine gute Energiepolitik der Regierung, beispielsweise ein schneller und funktionierender Gas- und Strompreisdeckel bei den Tarifverhandlungen helfen würde?
Dr. Stephan Kufferath:
Auf jeden Fall! Ein Großteil dieser Krise ist aufgrund der deutschen Abhängigkeit von Russland und einem gleichzeitigen Atom- und Kohleausstieg selbstverschuldet. Da muss die Regierung regulierend eingreifen. Aber nicht nach dem Gießkannenprinzip. Die Hilfe muss da ankommen, wo sie wirklich gebraucht wird.

Am Freitag endet die Friedenspflicht. Was erwarten Sie?
Dr. Stephan Kufferath:
Die IG Metall neigt zu Warnstreiks, das ist kein Geheimnis. Ich habe aber die begründete Hoffnung, dass wir noch in diesem Jahr einen Tarifabschluss erzielen werden. Niemand ist an einer Verzögerung interessiert, beide Seiten haben vernünftige Verhandlungspartner, die sich schon lange kennen.

Sie sagen, Sie wünschen sich einen Tarifabschluss für zwei Jahre. Glauben Sie, dass sich die Situation bis dahin entspannt hat?
Dr. Stephan Kufferath:
Ich bin vorsichtig optimistisch. Es kann besser werden, wenn wir die Energiepreise unter Kontrolle bringen, Deutschland mit Blick auf Europa wieder solidarisch handelt und die Grünen ihre verantwortungslose, von Ideologie geprägte Politik aufgeben – immer unter der Voraussetzung, dass nicht wieder etwas Schreckliches passiert, beispielsweise ein Angriff Chinas auf Taiwan.

Kontakt:
Sandra Kinkel
Telefon: 02421/4042-16
E-Mail: s.kinkel@vivdueren.de