VIV-Interview mit Herrn Ulrich Grillo, Präsident des BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie e. V.

Welches sind die größten Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft in den nächsten Jahren?
Mir fallen sofort drei ein: Wir haben eine wachsende Investitionsschwäche. Das wird zunehmend zu einer Herausforderung. Die Erfolge in der Vergangenheit dürfen uns nicht selbstzufrieden werden lassen. Die – noch – hohe Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie, die gute globale Aufstellung unserer Unternehmen stehen auf dem Spiel, wenn wir nichts machen.

Der Staat ist nun gefragt mit Vorlaufinvestitionen in Infrastrukturprojekte, vor allem in die Verkehrswege. Der private Sektor zieht dann nach.

Aber auch die Energiewende ist eine große Herausforderung. Durch die damit verbundenen Kosten leidet die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Der Anteil der Abgaben auf Industriestrom zur Förderung erneuerbarer Energien stieg, gemessen am Strompreis, seit 2009 von gut zehn auf rund 40 Prozent im Jahr 2014. In den meisten anderen EU-Ländern liegt dieser Wert laut EU-Kommission nur bei fünf bis zehn Prozent. Die logische Konsequenz ist, dass energieintensive Unternehmen wegen der viel niedrigeren Energiepreise mittlerweile stärker im Ausland investieren. Das darf so nicht weiter gehen.
Und wir stehen an der Schwelle eines umfassenden Digitalisierungsprozesses – Stichwort Industrie 4.0. Wir müssen uns den damit verbundenen Herausforderungen stellen, diesen Wandel gestalten und ihn als Chancen begreifen – schon allein wegen des demografischen Wandels. Gelingt uns das, sehe ich gute Chancen, Arbeitsplätze zurück nach Deutschland zu holen.

Was sollte die Bundesregierung bei der Energiewende beherzigen?
Die Bundesregierung muss mit Hochdruck daran arbeiten, dass Industrieunternehmen in Deutschland zu international wettbewerbsfähigen Energiepreisen produzieren können. Bislang ist die hohe Kostenbelastung von 95 Prozent der Industrieunternehmen nicht gelöst, weil sie nicht unter die EEG-Entlastungen fallen.
Bestandsanlagen von Industrie-Eigenstromanlagen dürfen auch künftig nicht mit EEG-Umlage belastet werden. Dabei muss es bleiben. Der Passus in dem im Sommer verabschiedeten Gesetz, dass dies schon in wenigen Jahren auf den Prüfstand kommt, muss gestrichen werden.
Und mehr Wettbewerb bei der Förderung muss nun auch mal praktisch umgesetzt werden. Die geplanten Ausschreibungsverfahren müssen rasch erarbeitet werden, damit durch sie möglichst bald die bislang geltenden gesetzlich festgelegten Fördersätze abgelöst werden.
Außerdem wurde ein Hebel, um bei der Energieeffizienz wirklich voranzukommen, noch nicht ausreichend genutzt: die energetische Sanierung von Gebäuden.
Und angesichts steigender Kosten für Energie, aber auch unserer Abhängigkeit von russischem Gas können wir es uns einfach nicht leisten, Technologien wie das Fracking vorschnell abzulehnen. Vielmehr sollten wir uns darauf konzentrieren, dass die Förderung des Schiefergases möglichst umweltfreundlich geschieht. Die Sicherung unserer Zukunftsfähigkeit erfordert mehr Mut zur Innovation. Das wünsche ich mir auch von der Bundesregierung.

Ihre Forderungen zu Steuern und Abgaben?
Steuererhöhungen würden das Investitionsklima weiter belasten. Zentral ist der Verzicht auf weitere Kostenbelastungen und auch Regulierungen der Unternehmen. Die Bundesregierung hat bislang ihr Versprechen in diesem Punkt gehalten. Die Bundeskanzlerin hat es auf dem Tag der Deutschen Industrie in Berlin jüngst erneuert. Dort, wo nationale Alleingänge den internationalen Wettbewerb verzerren, gilt es rasch nachzubessern. Deshalb muss die Luftverkehrssteuer beendet werden. Umgekehrt würde die Einführung einer steuerlichen Forschungsförderung den Standort Deutschland zukunftsfest machen.

Wird in Deutschland zu wenig investiert?
Ja, und zwar bis zu 80 Milliarden Euro – jährlich! Das hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung errechnet, wir teilen die Einschätzung. Im Vergleich zum Durchschnitt der OECD-Staaten besteht je nach Betrachtungszeitraum eine Investitionslücke von zwei bis drei Prozent des BIP. Wir zehren die Substanz auf. Die Quittung dafür wird in fünf bis zehn Jahren folgen, wenn jetzt nicht der investive Anteil der Staatsausgaben erhöht wird. Im öffentlichen Bereich sehen wir dringenden Investitionsbedarf in der Verkehrsinfrastruktur. Im privaten Sektor sehe ich die größten Hindernisse für mehr Investition nicht in der Finanzierung, sondern in erster Linie in den unsicheren Rahmenbedingungen.

Warum braucht die deutsche Wirtschaft das Freihandelsabkommen mit den USA?
Der Wohlstand Deutschlands ist von offenen Märkten und freiem Handel abhängig. Die USA spielen dabei eine besonders wichtige Rolle: Die Europäische Union und die USA stehen für rund ein Drittel des Welthandels. Doch zwischen beiden Wirtschaftsräumen gibt es zu viele Hindernisse und Beschränkungen wie Zölle oder unterschiedliche Standards und Regeln. Das verursacht jährlich Kosten in Milliardenhöhe, obwohl beide Seiten dasselbe Ziel verfolgen: Nämlich hochwertige und sichere Produkte auf den Markt zu bringen. Durch TTIP könnten diese Kosten spürbar gesenkt werden, ohne den Schutz für Verbraucher, Arbeitnehmer oder die Umwelt in Frage zu stellen. Auch mit Blick auf die Entwicklungen in der Ukraine und in Russland braucht Europa eine engere Anbindung an die USA.

Wie sehen Sie die Möglichkeiten, die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen in Deutschland zu finanzieren?
Die Mittel sind in Deutschland da, denn der Konsolidierungskurs der Bundesregierung zahlt sich aus. Allerdings müssen die Prioritäten richtig gesetzt werden. Wir sollten die vorhandenen Mittel nun in volkswirtschaftlich sinnvolle Investitionen umleiten. Daneben können Modelle wie öffentlich-private Partnerschaften eine gute Ergänzung sein. Dafür gibt es etliche Beispiele in Europa.

Ihre Gesprächspartner in der Politik sind höflich, aber beratungsresistent?
Die ersten Monate der Koalition haben sicher nicht dazu beigetragen, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und das Investitionsklima zu verbessern. Aber mittlerweile hat auch die Regierung festgestellt, dass die deutsche Wirtschaft nicht endlos belastbar ist. Das haben die Kanzlerin wie der Bundeswirtschaftsminister auf dem Tag der Deutschen Industrie in Berlin betont. Daran werden sie sich nun messen lassen müssen.

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